1.12.2012 Frankfurt, Gutleutstraße, unweit des Baseler Platzes. Nebenan der Hauptbahnhof, gegenüber die alte Gutleutkaserne. Kein Wohlfühlort. Obwohl hier im Hofgut einst die guten Leute wohnten.
Dieser „hoff der gouden louden“ war ein Aussätzigen-Hospiz, das 1283 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Die guten Leute waren einer mittelalterlichen Tradition folgend, jedoch nicht die Menschen, die sich um die Leprösen kümmerten, sondern die Leprösen selber, da sie ihren Helfern den Weg in den Himmel ebneten.
An diesem voradventlichen Samstagnachmittag waren über 70 Personen gekommen, um sich von ihrer Gutleutkirche zu verabschieden. Sie soll in einem letzten Gottesdient „entwidmet“ werden.
1958 wurde die Kirche in die Häuserzeile eingepasst. Und doch überragt ein Kirchturm die Dächer der umliegenden Häuser. Erst auf den zweiten Blick fällt sie daher auf und der Eingangsbereich ist sicher mit heutigen Mitteln freundlicher zu getsalten.
Hochmodern ihr Raumangebot, aus heutiger Sicht. Denn der Gemeindesaal wurde gleich über den Gottesdienstraum gelegt und auch das Gemeindebüro fand in der neu gegründeten Gemeinde seinen Platz. Zudem fanden noch Wohnungen im Gebäude Platz.
So schlicht wie der Baukörper auch der Innenraum. Drei Stufen zum Altarraum, Holzkreuz, links Lesepult, rechts Kanzel, beide gleich, aus hellem Holz gestaltet. Die Altarwand bilden kleine graue Steinriegel, aus denen auch das Taufbecken gefertigt ist. Wie viele Kinder wurden hier getauft, wie viel Ehen geschlossen, wie viele Trauergottesdienste gehalten? Es müssen etwa 7000 Gottesdiensten in diesen fast sechs Jahrzehnten gewesen sein, rechnet Dekan Horst Peter Pohl in seiner Predigt vor.
Zwei Pfarrer, die hier gewirkt haben erwähnt er. Martin Jürges, der mit seiner Familie durch den Absturz eines Starfighters am Pfingstmontag 1983 ums Leben kam. Die Erinnerung und das Entsetzen ist in der Gemeinde immer noch wach, obwohl Jürges nur wenige Jahre hier Dienst tat. Nebenan, vor dem Behördenzentrum, haben sie den Platz nach Familie Jürges benannt. Und da ist Johannes Herrmann, „der Helfer aus vollstem Herzen“, wie die Frankfurter Rundschau einst titelte. Über ein Jahrzehnt hat er hier gewirkt, hat den Gemeindesaal zur Kaffeestube Gutleut umgebaut. Hier können alle Esssen – wer bezahlen kann, zahlt drei Euro. Achtzig Essen, so wird mir später mein Tischnachbar erzählen, waren es an diesem Samstagmittag. Draußen ist es kalt und hier wird frisch gekocht. Die Fürsorge für die Armen wurde der Schwerpunkt der Gemeindearbeit.
Eine Entwidmung ist ein Abschiedsgottesdienst. Die Trauer ist zu spüren, auch wenn Pfarrerin Jutta Jekel betont, dass es doch ein Neuanfang sei. Immerhin wird nebenan in der Hafenstraße 34 Stunden später ein nagelneues Gemeindezentrum in Betrieb genommen. „Aber das ist keine Kirche“, erschallt es halblaut aber doch deutlich vernehmbar als auch Dekan Pohl auf diesen Umstand hinwies. Theologisch unmissverständlich und doch einfühlsam formuliert er, der hier zum ersten und zum letzten Mal predigt: „Gott braucht keine Häuser, aber wir brauchen sie.“ Und fügt an: „Wir können doch froh sein, wenn Menschen ihre Kirche lieben!“
Zunächst werden die Dinge benanntund gesammelt, die mitgenommen werden: Der Kelch, die Bibel, das Gesangbuch und auch die Maria aus der Weihnachtskrippe. Und dann werden nacheinander Altar, Kanzel, Lesepult und Taufbecken mit weißen Tüchern verhüllt. Nein, hier sollen keine Möbel während der Sommerfrische vor dem Staub geschützt werden. Es ist unumkehrbar. Die Gutleutkirche gibt es nicht mehr. An gleicher Stelle wird die Stadt Frankfurt ein Jugendhaus bauen. Das braucht das Viertel dringend.
Es wird noch lange dauern, bis alle gelernt haben, mit ihrer Wehmut zu leben. Doch es hat sich viel verändert. Die Gemeinden Weißfrauen, Gutleut und Matthäus haben zur Hoffnungsgemeinde fusioniert. Am Westhafen ist ein neues, schickes und nicht billiges Viertel entstanden, das Europaviertel, teils zur Gemeinde gehörend wird gerade gebaut und das Westend wird wieder stärker Wohnquartier.
Text unbd Fotos: Kurt-Helmuth Eimuth